Der Theologe und Klinikseelsorger Michael Schatz stellte sich bei seinem gut besuchten Vortrag in der Kuratie St. Johannes Baptist dieser schwierigen Frage. Der Tod Jesu am Kreuz ist von dem unvoreingenommenen jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus historisch bezeugt. War es ein Justizirrtum? Wurde ein Unschuldiger hingerichtet?
Der Prozess
Mitgewirkt haben der Hohe Rat mit seinen Schriftgelehrten, Ältesten und Priestern, eine aufgeheizte Volksmasse, Herodes Antipas und der römische Statthalter Pontius Pilatus, der sich für jüdische Religionsfragen nicht zuständig sah. Er ließ den ausgepeitschten Jesus zu Herodes Antipas führen, der ihn wieder zu Pilatus zurückschickte. Die Zuständigkeit war unklar. Noch heute hat sich deswegen die Redensweise erhalten: „Jemanden von Pontius zu Pilatus schicken.“
Pilatus Versuch einer Begnadigung scheiterte. Barabas sollte freigelassen werden, Jesus ans Kreuz. Der schwerwiegende Vorwurf: Jesus beanspruche das Königtum. Im Blick auf den römischen Kaiser, der einen klaren Herrschaftsanspruch hatte, musste Pilatus reagieren.
Ein Vorwurf war nach jüdischem Verständnis die Missachtung des Sabbatgebots. Die Heilung eines Gelähmten war nicht dringend. Darüber hinaus die Anmaßung Jesu, im Namen Gottes Sünden zu vergeben, was als massive Gotteslästerung verstanden wurde.
Der gekreuzigte Christus – den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit, so der Apostel Paulus (1 Korinther 1,23). Die erste uns erhaltene Kreuzigungsdarstellung wurde in einer Katakombe gefunden: Der Gekreuzigte trägt einen Eselskopf – dazu die spöttische Unterschrift: Alexamenos betet seinen Gott an.
Eine neue Deutung
Die erschütterten Jünger Jesu versuchten, im Nachlesen der Heiligen Schrift Hinweise auf einen Sinn des grausamen Geschehens zu finden.
Abraham wollte im Auftrag Gottes seinen Sohn Isaak opfern. Doch ein Engel hält ihn davon ab. Gott will keine Menschenopfer!
Beim Paschafest erinnerte man sich an die Flucht aus Ägypten. Der Todesengel verschonte die Häuser, deren Türpfosten mit dem Blut eines geopferten Lammes bestrichen waren. Das Blut des Lammes rettet!
Beim jüdischen Versöhnungstag lud man symbolisch alle Schuld des Volkes auf einen Sündenbock, der dann in die todbringende Wüste gejagt wurde.
Der Prophet Jesaja erzählt in seinem vierten Gottesknechtslied vom Vorläufer des Messias: Er ist einer, der wie ein schweigendes Lamm zum Schlachten geführt wird (Jesaja 53,7).
Der Tod Jesu in der Paschazeit und sein Schweigen beim Prozess wurden auf diesem Hintergrund nun im neuen Licht gedeutet: Jesus ist das neue Paschalamm. Dazu passt die Aussage Johannes des Täufers: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt“ (Johannes 1,29).
Im einmaligen Opfertod Jesu hat Gott die Gnade der Vergebung geschenkt. Jesus ist das Lösegeld für die Vielen: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (1. Korintherbrief 11,24). Es hat sich bewahrheitet: Jesus kann Sünden vergeben.
Vergebung geschieht aufgrund des Glaubens
Der gekreuzigte Schwerverbrecher bekannte in letzter Minute seinen Glauben an Jesus, der ihm antwortete: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lukas 23,43). Vergebung geschieht aufgrund des Glaubens. Die Dankbarkeit über diese Gnade bewirkt die guten Werke.
Hätte Gott einen anderen Weg gehen können?
Gott opfert sich selbst – er opfert keinen Menschen! Gott selbst nimmt das Leid des Kreuzes auf sich – ein einmaliges Zeichen der liebevollen Hingabe und der befreienden Barmherzigkeit.
Darüber hinaus war der Kreuzestod Jesu die Konsequenz aus seiner Botschaft der unbedingten Liebe zu denen, die ausgestoßen sind.
Gott leidet aus Liebe zu den Menschen!
Auf seinem Weg zum Kreuz tröstete Jesus seine Mutter Maria und beauftragte seinen Jünger Johannes, für Marias Unterhalt zu sorgen: „Siehe deine Mutter“ (Johannes 19,27). Er rief zu Gott, seinen Mördern diese Sünde nicht anzurechnen.
Sogar im ärgsten eigenen Leid nahm Jesus die Not der Menschen und ihre Sündhaftigkeit wahr. Es war ein Sterben, um zu neuem Leben zu führen, das über den Tod hinausgeht.
So können Christen bekennen: Jesus ist wahrhaftig Gottes Sohn. Er blieb seiner Botschaft treu bis zum Schluss. Er hat den Tod bezwungen und das Tor zum Leben geöffnet.
Der berühmte Theologe Romano Guardini formuliert: „Der Tod ist nur die eine Seite der Medaille, die Auferstehung die andere.“
Der Moment des Übergangs vom irdischen zum himmlischen Dasein bei Gott ist die Zeit der Läuterung (lateinisch: Purgatorium). In dieser Hoffnung leben die Christen.
Thomas Seibert, Diplomtheologe
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