Und dann kam es anders als gedacht. Ich hatte mir zusammen mit meiner lieben Familie ein schönes und friedliches Mittagessen im Biergarten gewünscht. Heiteren Mutes haben alle ihre Lieblingsspeisen bestellt. Als dann die Wirtin die Teller auf den Tisch stellte, verging nur eine kurze Weile, bis mein älterer Sohn mit lauter Stimme für die anderen Gäste gut hörbar voller Verärgerung sagte: „Mama, mein Schnitzel ist kleiner als das von Daniel. Warum bekommt er das größere Stück Fleisch, obwohl er kleiner ist als ich? Das ist voll ungerecht!“ – „Die Wirtin hat es so serviert… du hast doch genug… usw.“ Zwecklos. Genervt überlegten wir, ob wir die Teller tauschen können, teilen, umschichten, … Es brachte nichts! Das Thema Unrecht war wortwörtlich auf dem Tisch und hatte eingeschlagen wie eine Granate.
Wenn Notare Testamente eröffnen und eine familiäre Erbengemeinschaft von erwachsenen Menschen um 17/124 und 13/9 von irgendwas zu streiten beginnt, ist das im Grunde ähnlich wie bei den Kindern und dem zu kleinen Schnitzel.
Das Gleichnis, das der Evangelist Matthäus im Kapitel 20 seinen Lesern serviert, hatte wohl ebenso die Wirkung einer Granate:
„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denár für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen.“
Der Weinbergchef macht das Spiel noch dreimal zur sechsten, neunten und elften Stunde, also gegen 12:00 Uhr, 15:00 Uhr und kurz vor Feierabend gegen 17:00 Uhr. Und dann platzt die Bombe:
„Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten! Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denár. Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denár. Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen. Da erwiderte er einem von ihnen: Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denár mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.“
Falls ein Notar damals zugegen gewesen wäre, hätte er den aufgebrachten Arbeitern vielleicht schmunzelnd gesagt: „Verträge müssen eingehalten werden“ oder mit den Worten der alten Römer: „Pacta sunt servanda“. Das nützt aber nicht, um die Wut über das vermeintliche Unrecht zu mindern.
Zum Hintergrund des Textes muss man wissen, dass Jesus, der diese Pointe setzt, sich nun durch das religiös aufgeladene Judäa bewegt. Er ist auf dem Weg nach Jerusalem, wo es zur Katastrophe für ihn und seine Jünger kommt. Deswegen diese scharfe Rede!
Was für ein Unrecht?
Die Provokation zielt auf unser gewöhnliches Verständnis von Gerechtigkeit. Steuern und Löhne müssen gerecht sein, sagen die einen. Leistung muss sich lohnen, sagen die anderen. Natürlich ist es dem Menschen in die Wiege gelegt, auf das eigene Wohlergehen zu achten bzw. einen angemessenen Anteil von den Gütern dieser Welt zu erhalten. Doch Gott macht es anders, als wir es uns denken! Gott handelt nach seinen eigenen Maßstäben – und das ist oft schwer zu ertragen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Etwas wissen, ist die eine Sache. Es im Herzen annehmen, die andere und schwierigere.
Gottes Gerechtigkeit ist Barmherzigkeit!
Die Arbeiter, die erst spät in ein Arbeitsverhältnis kommen und nach menschlichen Gerechtigkeitsvorstellungen wohl nur noch einen Bruchteil von dem einen Denar erhalten hätten, können sich aus ihrem Blickwinkel über die relativ großzügige Entlohnung freuen. Vergessen wir heutzutage nicht jene, die benachteiligt sind, egal aus welchem Grund. Sie sollen genügend haben, um am Leben angemessen Anteil zu haben. Es tut der Seele gut, es ihnen zu gönnen.
Der Blickwinkel verändert die Bewertung! Deswegen ist es beim Streiten wichtig, die Sichtweise des anderen zu verstehen.
Wenn Sie sich wieder über ein vermeintliches Unrecht aufregen – schonen Sie Ihr Herz und sagen zu sich: „Ich will es mit den Augen Gottes sehen.“ Das klappt nach menschlichem Ermessen nicht immer und nicht sofort.
Manchmal wird es so bleiben, dass Dinge im Leben als Unrecht erscheinen. Der Trost: Am Ende aller Tage wird sich Gottes Heilsplan offenbaren. Denn Gott will das Heil aller Menschen!
Und der größere Bruder mit dem zu kleinen Schnitzel ist auch nicht verhungert.
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