Blicke ich in den Himmel und sehe die Vögel, denke ich manchmal: „So frei möchte ich auch sein.“ Mein ehemaliger Nachbar war Pilot bei der Lufthansa. Der Abschied vom Fliegen fiel ihm schwer. Es gab viele schöne Erlebnisse, aber auch gefährliche, wo er sein Können einsetzen musste. „Es gibt niemals Grund zur Sorge“, meinte er mit trockenem hessischen Humor zu seinen Passagieren: „Runter kommen wir immer.“ Ein ehrlicher Trost.
Die Sache mit der Freiheit hat ebenfalls den römischen Philosophen Seneca (1 – 65 n.Chr.) beschäftigt. In einem netten Bild vergleicht er unser menschliches Dasein mit dem eines Hundes. Dieser hat das unglückliche Schicksal, an eine Leine gebunden einem Karren hinterherlaufen zu müssen. Solche Gefährte waren wohl nicht so schnell wie unsere heutigen PS-Monster, die mein Sohn mir immer zum Kauf dringend ans Herz legt: „Papa – vergiss endlich deinen Ford.“ Zurück zum antiken Karren. Wenn auch langsam – der Hund würde viel lieber eigene Wege einschlagen. Stattdessen muss er einem anderen folgen. Das macht keine Freude. Der Tipp von Seneca: „Wenn du schon einem anderen hinterherlaufen musst, halte die Leine hübsch locker und nutze die so entstehenden kleinen Spielräume.“ Denn an der Leine herumzuzerren ist keine sinnvolle Alternative. Das verbraucht nur vergeblich Energie.
Nebenbei: Leider hatte Seneca, zeitweise sehr einflussreich und hoch beliebt, mit seiner Erziehungsarbeit beim späteren Kaiser Nero kein Glück. Nero, so die Überlieferung, habe Rom angezündet und das den Christen in die Schuhe geschoben. Danach hatte sich Seneca auf dringenden Wunsch seines Zöglings selbst aus dem Leben verabschieden müssen. Erzieher/in und Lehrer/in kann gefährlich sein. Soviel dazu.
Um das Hinterhergehen und die Freiheit geht es auch dem Evangelisten Matthäus. Vielleicht kannte er die berühmten Schriften des Seneca – wir wissen es nicht. Matthäus erzählt im Kapitel 16, dass Jesus seinen Weg nach Jerusalem als Leidensweg sieht.
Petrus will davon nichts wissen und kassiert dafür eine saftige Abfuhr von Jesus. „Satan“ beschimpft er ihn. Und nun die berühmten Verse 24 – 26 des Matthäus: „Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“
Der entscheidende Unterschied zu Seneca, der stoisch den Menschen als angebundenes Wesen betrachtet und für die kleinen Freiheiten in Zwängen plädiert, ist folgender: Jesus appelliert an die große Freiheit! „Wenn einer hinter mir hergehen will…“ Der Lebenssinn ergibt sich nicht, weil ich zur Taufe gebracht wurde und nun als Christ gewisse Pflichtübungen zu absolvieren habe, sondern weil ich bewusst und voll Vertrauen einen entschiedenen Weg gemeinsam mit Jesus gehen will, der zu einer ganz anderen großen Freiheit führt. Das kostet. Lebenszwänge bleiben dennoch. Aber sie bekommen einen tieferen Sinn.
Wer sich völlig an die Glückserwartungen dieser Welt verliert, allem möglichen hinterherläuft, bleibt am Ende enttäuscht. Schon Mark Twain wusste: „Reisen ist schöner als ankommen.“ Die Wirklichkeit enttäuscht viele Träume.
Jesus hingegen sagt ehrlich, dass es schwierig wird. Aber wir gewinnen das wahre und sinnerfüllte Leben, und das beginnt schon jetzt! Mein ehemaliger Nachbar, der Pilot, war zu seinen Passagieren ebenfalls ehrlich. Ohne Vertrauen geht es einfach nicht.
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