Kurz vor der Kehre ist die kleine und steile Abzweigung, die hinauf zum Olivenhain führt. Ein schneller Blick durch das Seitenfenster nach oben – falls Gegenverkehr kommt, ein Hupsignal und dann frontal mit Schwung im ersten Gang den Hügel hinauf. Ab und zu streift der rechte Seitenspiegel ein überhängendes Gehölz, das vom begrenzenden Gemäuer herausgewachsen ist. Wenn dann der Wagen oben heil ankommt, sind alle erleichtert. Die Mühe hat sich gelohnt. Weil der Weg so schwierig ist, gibt es hier kaum Touristen. Das Haus ist umgeben von alten Olivenbäumen. Von der Terrasse eröffnet sich ein wunderschöner Panoramablick auf den Gardasee. Die laue Luft singt ein leises Lied in den Blättern der Bäume – Stille. Nun kommen einige von ihnen hinauf und wollen schauen, wer da ist. Die Esel sind neugierig. Der Bauer unterhalb verleiht sie am Palmsonntag an die Pfarrer der benachbarten Dörfer.
Es ist ein ausgeliehener Esel, der beim Evangelisten Markus einige Beachtung erhält:
„Es war einige Tage vor dem Paschafest. Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Bétfage und Betánien am Ölberg, schickte Jesus zwei seiner Jünger aus. Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet das Fohlen los und bringt es her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht es; er lässt es bald wieder zurückbringen. Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße ein Fohlen angebunden und sie banden es los. Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, das Fohlen loszubinden? Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren. Sie brachten das Fohlen zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg aus, andere aber Büschel, die sie von den Feldern abgerissen hatten. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna! (hebräisch: Hilf doch!) Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“ (Mk 11, 1–10)
Den Menschen damals war dabei ein bekannter Text des Propheten Sacharja vor Augen: „Tochter Zion, juble laut! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir, demütig und auf einem Esel reitend, auf dem Füllen einer Eselin“ (9,9). Nicht mit Ross und Kriegswagen, sondern mit dem königlichen Reittier der frühen Zeit zieht Jesus als Friedensfürst und Heilsbringer in Jerusalem ein. Jetzt beginnt das Reich Gottes!
Auffällig ist, wie genau sich Markus mit dem Esel beschäftigt. Sein späterer Kollege, der Evangelist Johannes, schenkt dem kaum Aufmerksamkeit. Der Esel wird einfach mitgenommen. Ist das korrekt? Oder ein Ausleihen im erweiterten Sinn? Im Grunde ist auf Erden alles nur geliehen, was viele oft vergessen! Doch Jesus betont, dass der Esel zurückgegeben wird.
Die ausführliche Beschreibung der Vorbereitungen hat einen tiefen theologischen Hintergrund: Auf geheimnisvolle Weise geschieht alles so, wie es Jesus, der sich nur an dieser einen Stelle bei Markus selbst als „Herr“ bezeichnet, voraussagt. Jetzt handelt Gott selbst! Sein Heilsplan wird sich erfüllen und gegen das Unheil der Welt durchsetzen. Darauf dürfen wir vertrauen!
Ein ausgeliehener Esel spielt dabei eine entscheidende und tragende Rolle. Er wirkt mit. Denn Gott will die ganze Schöpfung zur Vollendung führen. Damit kommen wir zur Frage unseres Lebensstils und unseres Respekts gegenüber allem von Gott Geschaffenem. In der Zeit der Pandemie dürfen wir darüber nachdenken.
Ich schaue auf die Esel im Hain, die sich nun alle zu uns gesellt haben, und freue mich über ihre Gegenwart. Der mühsame Weg hat sich gelohnt. Ein zarter Hauch einer anderen und friedlichen Welt, die uns nur ausgeliehen ist.
Text und Foto: Thomas Seibert
Danke, Herr Seibert, für Ihre lebendige Art, sich den Bibeltexten zu nähern und diese mit selbst Erlebtem in Verbindung zu bringen und auszulegen.
Gottes Wort im täglichen Leben hören zu können, ist ein großes Geschenk. Und diese Erfahrung mit anderen Menschen zu teilen, ein noch größeres.
Liebe Frau Schmid,
herzlichen Dank für Ihre erfreuliche Rückmeldung, die mich sehr ermuntert. Es ist mir wichtig, den Glauben mit dem eigenen Leben zu verbinden. So wird es ein persönlicher Glaube, der im Laufe meiner Jahre wächst und sich verändert. Dem Olivenbauer durfte ich zusehen, wie er seine Bäume geschnitten hat. Manchmal ist es gut, etwas wegzunehmen. Beim persönlichen Glauben kann es hilfreich sein, sich von dem einen oder anderen früherer Tage zu verabschieden. Das befreit und gibt Raum für etwas Neues. So wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben ein schönes Osterfest, Gesundheit und Gottes reichen Segen.
Thomas Seibert