Neulich verkündete mein Sohn, dass sein Klassenkamerad im Home-Schooling nun schon 20 Kilogramm zugenommen habe. Mensch und Monitor – eine Form neuer Zweisamkeit, die nicht immer gut tut. Bedrückend kann das Leben sein. Umso größer ist die Sehnsucht nach besonders schönen Erlebnissen.
Johann Wolfgang von Goethe beschreibt, wie Doktor Faust nach Zeiten der Niedergeschlagenheit das Erwachen der Natur und die Freude am Leben wiederentdeckt. Ein Höhepunkt der Weltliteratur ist die berühmte Rede an Wagner bei einem Osterspaziergang:
„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche. // Durch des Frühlings holden, belebenden Blick. // Im Tale grünet Hoffnungsglück. // Der alte Winter, in seiner Schwäche, // Zog sich in rauhe Berge zurück…
Jeder sonnt sich heute so gern. // Sie feiern die Auferstehung des Herrn.
Denn sie sind selber auferstanden, // Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, // Aus Handwerks – und Gewerbesbanden, // Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, // Aus der Straßen quetschender Enge, // Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht. // Sind sie alle ans Licht gebracht…
Und bis zum Sinken überladen // Entfernt sich dieser letzte Kahn. // Selbst von des Berges fernen Pfaden // Blinken uns farbige Kleider an. // Ich höre schon des Dorfs Getümmel. // Hier ist des Volkes wahrer Himmel, // Zufrieden jauchzet groß und klein: // Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein!“
Der Evangelist Markus beschreibt ebenfalls eine Szene vollkommenen Glücks: Gott offenbart den Jüngern ein wunderbares Gipfelerlebnis. Menschliches und Göttliches kommen sich ganz nahe. Das berührt sie so sehr, dass sie diesen Moment festhalten wollen.
„In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Da erschien ihnen Elíja und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus. Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elíja. Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen. Da kam eine Wolke und überschattete sie und es erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören. Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemanden mehr bei sich außer Jesus. Während sie den Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. Dieses Wort beschäftigte sie und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.“ (Mk 9, 2–10)
In Zeiten der Betrübnis ist es gut, Augenblicke der Freude lebendig werden zu lassen. Das tröstet. Natürlich können wir diese Momente nicht festhalten. Von Bergen muss man wieder hinabsteigen. Aber wir können etwas mitnehmen, das im Tal des Alltags Hoffnung gibt.
Und was ist nun mit den 20 Kilogramm? Die Doktores Faust und Söder würden dazu raten, mehr spazieren zu gehen.
Thomas Seibert
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