Es war ein erhellendes Gespräch, das ich als Klinikseelsorger mit einem Richter führen durfte. Auf meine Frage, ob es für ihn schwer sei, nach einem schwierigen Urteil ruhig schlafen zu können, gab er mir eine ehrliche Antwort: „Ich spüre es, wenn ein Urteil nicht passt. Das belastet. Als Richter bin ich gebunden an Gesetz und Aktenlage. Ich bemühe mich um gerechte Urteile, aber ich sorge nur für Rechtsprechung. Gerechtigkeit herstellen, kann ich nicht – das kann nur Gott.“ Humorvoll fügte er noch hinzu: „Bedenken Sie: Auf hoher See und vor Gericht bist du in Gottes Hand.“
In beiden Fällen, also auf dem Wasser oder im Gerichtssaal, kann es sehr ungemütlich werden. Es kann der Untergang drohen oder die Rettung. Ohnmacht und Angst breiten sich aus. Viele Gläubige habe ich kennengelernt, die sich im Blick auf das göttliche Gericht vor einem strafenden Gott fürchten. Eine häufige seelsorgerliche, aber fragliche Antwort lautet: „Gott straft nicht.“ Denn in der Bibel finden sich zahlreiche anderslautende Zeugnisse. Am bekanntesten ist die Strafe Gottes an den Ägyptern, die nach der Flucht Israels kläglich im Meer ertrinken. Gericht und Strafe: Was gilt nun?
Der heilige Anselm von Canterbury (1033 – 1109) hat festgestellt: „Gott ist immer größer, als wir denken können.“ Schon in den Zehn Geboten wird gesagt, sich kein Bildnis von Gott zu machen (Exodus 20,4). Das Problem ist, dass unser Denken und Sprechen ohne Bilder nicht geht. Wenn man das Bilderverbot auf „Götzenbilder“ oder „Kultbilder“ bezieht, wird die Sache wieder etwas einfacher. Aber: Die Rede von Gott bleibt schwierig. Weil wir nur Menschen sind. Und ER Gott ist, der ganz andere!
Der Evangelist Johannes (um 100 n. Chr.) überliefert einen Text, der trotz aller Schwierigkeit, sinnvoll von Gott zu sprechen, erhellend und tröstlich ist:
„In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodémus: Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat. Denn darin besteht das Gericht: Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.“ Joh 3, 14–21
Wir können zwar nicht einfach sagen: „Gott straft nicht.“ Das müssen wir ihm schon selbst überlassen. Aber wir dürfen vertrauen, dass Gottes Gericht liebevoll geschieht, weil er uns retten will.
Vor Jahren haben wir uns dagegen entschieden, einen Prozess zu führen. Es wäre schön gewesen, die Wahrheit zu erfahren. So blieb vieles im Dunkeln. Manchmal macht ein Prozess Sinn, manchmal nicht. Und dann ist es gut, die Dinge Gott zu überlassen. Gelassenheit. ER ist das Licht. Er allein schafft Gerechtigkeit, die kein Richter herstellen kann.
Thomas Seibert
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Ein sehr schöner Beitrag. Vielen Dank dafür Thomas.
Lieber Marco,
herzlichen Dank für Deine Rückmeldung. Das hat mich sehr gefreut.
Thomas