Es war von dem alten Pfarrer in dem kleinen oberbayerischen Dorf keine gute Idee. Die elf Mädchen und fünf Buben, die an diesem Sonntagmorgen um neun Uhr ihre Erste Heilige Kommunion feierten, sollten aus dem Kelch den gewandelten Wein trinken. Ein Versuch. Die Mesnerin hatte es gut gemeint und einen Liter der besten und entsprechend schweren Sorte eingeschenkt. Im Altarraum ging das goldene Gefäß von einem Kind zum anderen – fast alle zierten sich und tranken nichts. Der Pfarrer war aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls äußerst bescheiden. Als Religionslehrer stand ich in dieser Runde. Es wäre gut gewesen, wenn ich etwas gefrühstückt hätte. Der Geistliche gab mir das nahezu volle Gefäß: „Das Blut Christi – ex.“ Ich sagte „Amen“ und „Es ist zu viel.“ Darauf er: „Sakristei, Hansel-Bauer.“ Dort reichte ich diesem den Kelch: „Das Blut Christi – ex“. Er lächelte, nippte ein wenig und gab ihn mir fast voll zurück: „Bin Biertrinker.“ So trank ich den Liter Wein nun selbst auf leeren Magen und setzte mich brav an meinen Platz im Altarraum zurück – die zunehmende Wirkung spürend und eine aufrechte Haltung wahrend.
Im alttestamentlichen Buch Jesus Sirach steht: „Was ist das Leben, wenn der Wein fehlt?“ Ja – aber bitte mit Maß. Im Buch Kohelet heißt es: „Iss dein Brot mit Freude, und trink deinen Wein mit frohem Herzen; denn längst schon hat Gott dieses Tun gebilligt“ (9,7). Also: Keine Trinkerei aus Frust. Das ist wichtig! In der Passionsmystik findet sich die bildliche Darstellung von Christus in der Kelter – wo er einen Kelterbalken als Kreuz trägt. Lebensfreude und Leid gehören zusammen. Beides feiern wir in der heiligen Messe. Es geht nicht darum, mit oder ohne Alkohol das Traurige auszublenden. Wer am Kelch Christi Anteil nimmt, kann das Leid bestehen und vertrauen, dass Gottes Freude am Ende alles übersteigt.
Thomas Seibert
Bild: Christus in der Kelter, Meister Matthäus, um 1490, gemeinfrei