Vor einiger Zeit saß ich in einer Predigt und meine Gedanken schweiften wieder mal ab. Ich bekam noch mit, wie Mose auf einen Berg stieg, aber dann wanderten sie weiter zu einem Freund, der mir einmal von einer Bergtour in den Rocky Mountains erzählt hatte. Er war damals mit einer kleinen Gruppe unterwegs – mit Rucksack, Zelt, und allem was so dazugehört – und mit einem Ranger, der sie führte. Der kannte sich wirklich gut aus, zeigte hier einen wundervollen Ausblick über endlose Wälder und tiefe Täler, da einen grandiosen Wasserfall, dort von weitem einen stolzen Hirsch, und – oh Schreck – gar nicht so weit entfernt einen riesigen Grizzlybären! Dieser hob die Nase in den Wind, schnüffelte und setzte sich in Bewegung – genau auf die kleine Gruppe zu, die sich ängstlich um ihren Ranger drängte. Der blieb, wie nicht anders zu erwarten, richtig cool. Während der Bär immer näher kam und die Touristen immer nervöser wurden, zog der Ranger in aller Seelenruhe seine Bergstiefel aus, nahm seinen Rucksack ab, holte ein paar Laufschuhe heraus, schlüpfte hinein und begann sie zuzuschnüren. Mein Freund fragte ihn ziemlich erstaunt: „Meinen Sie, Sie können damit schneller sein, als der Grizzly?“ Der Ranger antwortete: „Nein, aber das ist auch gar nicht nötig. Es reicht, wenn ich schneller bin, als ihr.“
Irgendwie ging die Geschichte noch gut aus, wenigstens für meinen Freund. Er war ja auch nicht der Langsamste. Und in puncto Nächstenliebe hielt er es, ebenso wie jener flotte Ranger, mit der alten Weisheit, nach der jeder sich selbst der Nächste ist. Stünde das nicht sogar irgendwo in der Bibel (Mk 12,31)?
Ich konnte ihn darauf hinweisen, dass dort steht, man solle den Nächsten lieben, wie sich selbst und dass das nicht genau dasselbe ist. Und ich erinnerte mich noch an zwei andere Bibelstellen: Jesus ist der gute Ranger (Joh 10,11-13)! Er läuft nicht davon, wenn es eng wird und überlässt uns auch nicht einfach dem Verderben. Er setzt sich vielmehr für uns ein und opfert sich sogar für uns, damit wir leben. Darum geht es jedes Jahr an Karfreitag und Ostern. Und eigentlich sogar an jedem Tag.
Deshalb bleibt nämlich der Teufel, der um uns herumschleicht wie ein hungriger Grizzly (1 Petr 5,8), weiterhin hungrig. Aber sowas von.
Kaplan Andreas Theurer
Bild: pixabay