Vielleicht überlegen Sie selbst für ein paar Minuten, ehe Sie weiterlesen.
Der Mensch braucht Gemeinschaft. Und so telefoniere ich regelmäßig mit meinem Vater, der schon seit Jahren alleine sein Haus bewohnt. Nach dem Tod meiner Mutter, die nicht so alt geworden ist, war die Frage, ob er zu uns nach Augsburg zieht. Doch das wollte er nicht. In seiner Nachbarschaft ist er sozial gut eingebunden. Zudem war er früher Handwerker. Die Notwendigkeit, sich um Haus und Garten zu kümmern, hält ihn fit. Das freut mich. Bei den regelmäßigen Telefonaten dreht es sich seit einiger Zeit verstärkt um das Thema „Heizung“. Wir denken an den kommenden Winter mit großem Unbehagen. Nur wer genug Geld hat, muss sich keine echten Sorgen machen.
Die Sache mit der Heizung und dem unbezahlbaren Gas hatte schon vor langem der Musiker, Sänger, Texter und Schauspieler Herbert Grönemeyer vor Augen, wenn auch nur in einem Nebensatz. Auf die eingangs aufgerissene Frage gibt er eine poetische Antwort – mit sich ringend, manchmal fast wie ein Gebet. Der Tod seines Bruders Wilhelm und seiner Frau Anna im Jahr 1998 führte ihn in eine Krise. Im Jahr 2002 widmete er seiner Frau dieses Lied mit dem einfachen und dem zugleich schweren Titel „Mensch“.
Momentan ist richtig / Momentan ist gut / Nichts ist wirklich wichtig / Nach der Ebbe kommt die Flut / Am Strand des Lebens / Ohne Grund, ohne Verstand / Ist nichts vergebens / Ich bau′ die Träume auf den Sand
Und es ist, es ist ok / Alles auf dem Weg / Und es ist Sonnenzeit / Unbeschwert und frei / Und der Mensch heißt Mensch / Weil er vergisst / Weil er verdrängt / Und weil er schwärmt und stillt / Weil er wärmt, wenn er erzählt / Und weil er lacht / Weil er lebt / Du fehlst
Das Firmament hat geöffnet / Wolkenlos und ozeanblau / Telefon, Gas, Elektrik / Unbezahlt, und das geht auch / Teil’ mit mir deinen Frieden / Wenn auch nur geborgt / Ich will nicht deine Liebe / Ich will nur dein Wort /
Und es ist, es ist ok / Alles auf dem Weg / Und es ist Sonnenzeit / Ungetrübt und leicht / Und der Mensch heißt Mensch / Weil er irrt und weil er kämpft / Und weil er hofft und liebt / Weil er mitfühlt und vergibt / Und weil er lacht / Und weil er lebt / Du fehlst
Oh, weil er lacht / Weil er lebt / Du fehlst
Es ist ok / Alles auf dem Weg / Und es ist Sonnenzeit / Ungetrübt und leicht / Und der Mensch heißt Mensch / Weil er vergisst / Weil er verdrängt / Und weil er schwärmt und glaubt / Sich anlehnt und vertraut / Und weil er lacht / Und weil er lebt / Du fehlst
Oh, es ist schon ok / Es tut gleichmäßig weh / Es ist Sonnenzeit / Ohne Plan, ohne Geleit / Der Mensch heißt Mensch / Weil er erinnert, weil er kämpft / Und weil er hofft und liebt / Weil er mitfühlt und vergibt / Und weil er lacht / Und weil er lebt / Du fehlst…
Die Zeilen lassen mich etwas melancholisch zurück – aber nicht hoffnungslos. Über die Lage der Welt sage ich jetzt nichts. Mir fehlen, wie so oft, die passenden Worte.
Und trotzdem suche ich immer wieder mit Menschen das Gespräch, das einmal mehr und ein andermal weniger Tiefgang hat. Das ist nicht schlimm. Gute Worte können menschliche Wärme schaffen. Das Geld für eine neue Heizung kann man leihen. Es ist sowieso auf Erden alles nur geliehen – will sagen: vorläufig. Was bleibt?
Thomas Seibert
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