dass der Zug abgefahren ist, stand ich plötzlich allein ratlos da. Vielleicht lag es an der unübersichtlichen Anzeigetafel oder an meiner Fehleinschätzung. Egal. Traurig schaute ich auf die Rückleuchten des letzten Waggons, der allmählich im Dunkel der Nacht verschwand.
Manchmal schaue ich mit einem Gefühl von Melancholie auf mein bisheriges Leben zurück. Ich hätte mir vieles anders gewünscht. Unerfüllte Erwartungen und unerhörte Gebete. Vielleicht ein Trost: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen, als über nicht erhörte“ – ein Wort, das der amerikanische Schriftsteller Truman Capote der Mystikerin Teresa von Ávila zugeschrieben hat.
Zu dieser Stimmung passt die Ballade von Lucy Jordan, einer 37-jährigen Frau, die ihren verlorenen Träumen nachtrauert – gesungen von der damals 33-jährigen englischen Künstlerin Marianne Faithfull. In dem Song aus dem Jahr 1979 verarbeitete sie ihre eigene Geschichte. Nach der Fehlgeburt ihrer Tochter und zwei zerbrochenen Beziehungen war sie mit 22 völlig abgestürzt, nahm Heroin und lebte obdachlos in London.
In der zweiten Strophe: „Im Alter von 37 wurde ihr klar, dass sie niemals in einem Sportcoupé durch Paris fahren würde und den warmen Wind in ihren Haaren spüren.“ Am Ende steigt sie entrückt auf das Dach ihres Vorstadthauses. Als die Menschenmenge in Gelächter ausbricht, führt sie ihr Ehemann hinunter zu dem langen, weißen Wagen, der hinter der Menge wartete. Die letzte Strophe: „Im Alter von 37 wusste sie: Sie hatte die Ewigkeit gefunden. Und sie fuhr mit ihm durch Paris, mit dem warmen Wind in ihren Haaren…“
Faithfull ist im Januar 2025 im Alter von 78 Jahren gestorben – ihr Leben war eine Achterbahn – aufgegeben hat sie nie!
Als mir klar wurde, dass dieser Zug abgefahren ist, habe ich mich neu voll Zuversicht orientiert! „Herr, lass mich nicht scheitern, denn ich rufe zu dir“, Psalm 31,18.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben eine gesegnete Karwoche und ein schönes, von großer Freude und Zuversicht erfülltes Osterfest!
Thomas Seibert, Diplomtheologe
Bild: Teresa von Ávila, François Gérard, 1827
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